Die Frage, was die Zukunft wohl bringen mag, beschäftigte in Form mantischer Praktiken schon den antiken Menschen. Antwort hierzu gaben ihm Losbücher: Sammlungen von Sprüchen, die zur Vorhersage der Zukunft und des individuellen Schicksals verwendet wurden, indem man einen zufällig gefundenen Spruch auf die eigene Situation bezog. Die Kirche hielt das zunächst für Aberglauben, aber ab dem 12. Jahrhundert entfachten aus dem Arabischen übersetzte Werke das Interesse an der Materie neu. Später betrachtete vor allem der Adel die ganze Thematik halb ernst, halb spöttisch als Zeitvertreib. In diese Zeit fällt auch unsere Handschrift: Der feste Fragenkatalog, fertige Antworten und einfache Bedienung ermöglichten ihre Verwendung auch dem Laien. Die 1296 Reimpaare oszillieren zwischen dem Glauben an die Vorhersagbarkeit der Zukunft und einer skeptisch-ironischen Einstellung hierzu.
Eines der ältesten und umfangreichsten vollständig deutsch gereimten Losbücher
Unser Losbuch gehört zu den ältesten und umfangreichsten vollständig deutsch gereimten Losbüchern, Sammlungen von Orakelsprüchen zur moralischen Ermahnung oder geselligen Unterhaltung.
Als Ausgangspunkt des Losbuches gelten die Spruchsammlungen, die im antiken Griechenland bei feierlichen Riten verwendet wurden. Im Vorderen Orient kam es nach der Übernahme von den Griechen vor allem zu einer Weiterentwicklung der Bestimmung des individuellen Schicksals.
Zukunftshoffnungen und -ängste?
Mit der Übersetzung arabischer Werke ins Lateinische erwachte im 12. Jh. auch im Abendland wieder das Interesse an der Zukunftserforschung. Schon früh bahnte sich in Deutschland gegen Ende des 14. Jh.s durch die Verschiebung vom reinen Wahrsagetext zu einem mit auch unterhaltendem Charakter ein Wandel in der Funktion des Losbuches an. Die Entstehung unserer Handschrift fällt in diese Übergangszeit. Die Formulierung ihrer Fragen und Antworten bewegt sich im Bereich zwischen ernstem Glauben und Lebensangst einerseits und spöttischer Belustigung andererseits.
Mit dem festen Fragenkatalog, den fertigen Antworten und der einfachen Bedienung war es auch dem Laien möglich, Losbefragungen durchzuführen. Seine besondere Bedeutung liegt darin, dass in den 1296 Reimpaaren deutlich ein Schwanken zwischen einer Haltung des absoluten Vertrauens in die Gültigkeit des Losbescheides und einer skeptischen, mitunter sogar ironischen Einstellung gegenüber der Möglichkeit, die Zukunft vorherzusagen, bemerkbar ist.